Wahrheit
Wahrheit bringt Licht ins Dunkel...
Ich behaupte es gibt sie nicht, die Wahrheit. So wie Hermann Hesse sagt: Es gibt die Wirklichkeit. Wahrheiten aber, nämlich in Worte gefasste Meinungen über das Wirkliche gibt es unzählige. Und jede ist genauso richtig, wie sie falsch ist.
Trotzdem wird in Dialogen und Debatten immer wieder auf die Wahrheit verwiesen. Seien es Prozesse vor Gericht, um mit der Wahrheit einen Angeklagten zu verurteilen oder ihn freizusprechen, die Wahrheit der Verfassung als Gesellschaftsordnung oder die Wahrheit der religiösen Maximen als Glaubensbekenntnisse. Jeder, der von Wahrheit spricht, beansprucht diese auch für sich. Man kann sich Fragen welcher Spur denn Wahrheitssuchende folgen und weiter, ob Wahrheitssuche tatsächlich zielführend ist. Man stellt in den meisten Lebensläufen fest, dass Menschen den Entscheid, der ihren Lebensplan und ihre Lebenshaltung angeht, schon früh treffen und dass sie in der Regel kaum noch davon abweichen. Es gibt verhältnismässig wenige, die konvertieren, also sich aus einem Lebensplan in einen neuen wagen. Ein Katholik wird nicht einfach Muslim und umgekehrt. Ihrer Haltung entsprechend nehmen sie vor allem Wahrheiten an, die dem gewählten Lebensplan entsprechen. Wahrheiten sind also auch Meinungen. Da passt ein Zitat der amerikanischen Schriftstellerin Anaïs Nin:
«Wir sehen die Dinge nicht so wie sie sind. Wir sehen sie so wie wir sind.»
Das Wort Wahrheit hat zudem einen ethischen Anspruch. Wahrheit wird positiv gewertet, Wer die Wahrheit sagt ist redlich, untadelig und ehrenvoll. Dabei wird vor allem bewertet, dass zum Gesagten übereinstimmende Handlungen folgen. Es bestimmen also die folgenden Handlungen den Wahrheitsgehalt der zuvor gesprochenen Worte. Beispiel: Jemand sagt, dass er die 100m unter 10 Sekunden zu laufen fähig sei. Hat er keinen Beweis, dass ihm dies tatsächlich gelungen ist, wird diese Aussage erst wahr, wenn er die 100m tatsächlich unter 10 Sekunden und vor Zeugen läuft. Ansonsten hat er gelogen oder seine Worte waren nur Angeberei oder pure Behauptung. Wahrheit hat also sowohl etwas mit gesicherter Erkenntnis als auch etwas mit Authentizität und Ehre zu tun. Von ehrwürdigen Personen erwarten wir nichts anderes als Wahrheit. Als gläubiger Christ erwartet man von einem Pfarrer einfach keine Lüge. Wenn aber dieser Pfarrer, streng nach seinem Glauben predigt: «Es gibt nur einen Gott», dann empfinden dies Atheisten, Agnostiker und Skeptiker sowie Gläubige anderer Religionen nicht als die Wahrheit, sondern als reine Behauptung. Wir müssen also zuerst verstehen woran die Wahrheit bemessen wird, bevor wir über deren Gültigkeit befinden können.
Schwierig wird es, wenn Esoteriker die Wahrheit für sich beanspruchen. Sie tun das meistens um irgendwelche vielversprechende technische Spielereien, ein Medikament oder Nahrungsergänzungen überteuert unter die Menschen zu bringen. Oder sie tun es, um sich selbst Fähigkeiten zuzusprechen, die sie vom normalen Menschen als «Erkennende» unterscheiden oder sie gar selbst zum Medium machen sollen. Es werden nicht selten Traditionen, Geschichten und Gutachten angeblich renommierter Personen oder Institute beigezogen, um den Wahrheitsgehalt ihrer Behauptungen zu bekräftigen. Die Wahrheit wird weniger an der Wirklichkeit als mehr an der Sehnsucht ausgerichtet.
Noch viel dramatischer aber ähnlich sehnsüchtig scheinen die Argumente der Verschwörungstheoretiker und Rassisten im Umgang mit der Wahrheit. Ihnen geht es nicht mehr um das, was wirklich ist, sondern um das, was wahr sein soll. Es werden Fantasien in «wahre Geschichten» gewandelt. Und jeder Erzähler dieser Geschichten empfindet sich als Retter der Menschheit und erhofft sich insgeheim Anerkennung für seinen heldenhaften Kampf an der Front gegen die da oben, erhofft sich insgeheim Applaus für seine «Aufklärungsarbeit» und das damit verbundene «Mit- bzw. Querdenken». Viele Gläubige dieser Geschichten sind selbst verunsichert und haben oftmals Angst vor der Zukunft. Sie suchen nach Antworten und Wahrheiten die einfach zu verstehen sind, die ihnen Sicherheit geben. Da diese Geschichten oft wie Kriminalgeschichten daher kommen, sind auch Sensationslust und Neugier etwas Geheimes oder vom Rest der Gesellschaft Unbemerktes aufzudecken, treibende Kräfte. Dabei werden Halbwahrheiten, also nur die zweckdienlichen Informationen anderer Geschichten verarbeitet, um die Stereotypen der eigenen Geschichte weiter zu stärken.
Und nun, nach dem ich so viel über Wahrheiten nachgedacht habe, glaube ich, dass ich entgegen der These «Wahrheit bringt Licht ins Dunkel» viel eher die These vertrete, dass die Wahrheit zusammen mit Leichtgläubigkeit hinters Licht führt. So stehen die Wahrheiten anderer nicht für Klarheit, sondern sorgen für Verwirrung und Verunsicherung. Ich habe meine eigene Sicht auf die Welt, meine eigene Wahrnehmung über das Wirkliche. Manche fremde Wahrheit bereichert die eigene Haltung. Ich trage meine Gedanken auch nicht zusammen, um jemanden zu belehren, sondern im besten Fall, Ihnen mit meinen Beobachtungen und Reflexionen, eine weitere Sichtweise zu vermitteln. Was aber unbedingt gültig ist, im Umgang mit allen Wahrheiten ist Toleranz. Wahrheiten können entstehen und auch wieder vergehen. Wir sollten unserem subjektiven Empfinden beibringen, dass anders wahrnehmen nicht gleich falsch ist. Oder was würden Sie denken, wenn das Nashorn allgemein gültig erklärt, dass im Sichtfeld immer ein Horn drin ist. Es gibt auch andere natürliche Gegenstände, oft aus Holz, welche man aus dem Gesichtsfeld nehmen könnte, um verständiger, milder und vor allem weitsichtiger zu werden.
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Über den Autor
HW
Hallo, ich bin Hermann.
Ich bin der Vater von drei Kindern, die mir alles bedeuten. Ich kam am 13.08.1961 in Winterthur zur Welt. Das war der Tag, an dem die Berliner Mauer gebaut wurde. Sie hielt bis zum 9.11.1989. Ich stehe noch. Allerdings hat mich diese Mauer immer und immer wieder beschäftigt. Sie steht für eine gewaltsame Trennung von Menschen. Die freiwilligen Trennungen sind aber auch nicht besser. Ich weiss es. Ich bin schon dreimal geschieden. Diese Webseite entsteht für meine Kinder. Danken möchte ich all den lieben Menschen, die mich mein Leben lang begleitet, inspiriert und geliebt haben.
Ich bin auch der Betreiber dieser Webseite und für die Inhalte verantwortlich.