Eine Tugend gibt es, die liebe ich sehr, eine Einzige. Sie heißt Eigensinn. – Von all den vielen Tugenden, von denen wir in Büchern lesen und von Lehreren reden hören, kann ich nicht so viel halten. Und doch könnte man alle die vielen Tugenden, die der Mensch so erfunden hat, mit einem einzigen Namen umfassen. Tugend ist: Gehorsam Die Frage ist nur, wem ich gehorche. Nämlich auch der Eigensinn ist Gehorsam. Aber alle anderen, so sehr beliebten und belobten Tugenden sind Gehorsam gegen Gesetze, welche von Menschen gegeben sind. Einzig der Eigensinn ist es, der nach diesen Gesetzen nicht fragt. Wer eigensinnig ist, gehorcht einem anderen Gesetz, einem einzigen, unbedingt heiligen, dem Gesetz in sich selbst, dem „Sinn“ des „Eigenen“.
Hermann Hesse
on Montag, 10 Dezember 2018.
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Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!
Hermann Hesse
on Montag, 10 Dezember 2018.
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Als ihm zu Ohren kam, dass neuerdings die jungen Künstler sich darin übten, auf dem Kopf zu stehen, um eine neue Weise des Sehens zu erproben, unterzog Meng Hsiä sich sofort ebenfalls dieser übung, und nachdem er es eine Weile damit probiert hatte, sagte er zu seinen Schülern: «Neu und schöner blickt die Welt mir ins Auge, wenn ich mich auf den Kopf stelle.»
Hermann Hesse
on Donnerstag, 22 November 2018.
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Klein, die Hauptfigur der Erzählung, beschliesst, sich das Leben zu nehmen.
In die kleine Zahl von Augenblicken, welche er von da an noch lebte, war viel mehr Erlebnis gedrängt als in die vierzig Jahre, die er zuvor bis zu diesem Ziel unterwegs gewesen war. Es begann damit: Im Moment, wo er fiel, wo er einen Blitz lang zwischen Bootsrand und Wasser schwebte, stellte sich ihm dar, dass er einen Selbstmord begehe, eine Kinderei, etwas zwar nicht Schlimmes, aber Komisches und ziemlich Törichtes. Das Pathos des Sterbenwollens und das Pathos des Sterbens selbst fiel in sich zusammen, es war nichts damit. Sein Sterben war nicht mehr notwendig, jetzt nicht mehr.
Hermann Hesse
on Donnerstag, 22 November 2018.
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Vorgestern war der wichtigste Tag meines Lebens. Da habe ich zum ersten Male etwas erlebt und zu spüren bekommen, was ich vorher gar nicht kannte und wovon mir doch jetzt scheint, ich habe es immer und immer gesucht und geahnt, mein Leben lang. Es hängt mit den Träumen zusammen. Diese hatten mich ja schon immer beschäftigt, und oft war ich erstaunt und traurig darüber, wie flüchtig Träume sind, wie schnell sie am Morgen vergehen, wie schüchtern sie vor der leisesten Berührung mit der Vernunft davonlaufen.
Hermann Hesse
on Donnerstag, 22 November 2018.
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