Gedanken zur festlichen Zeit 16/17
Ich habe genug von diesen Selbstdarstellern, Lügnern und Hetzern; von diesen um Aufmerksamkeit ringenden Idioten mit ihren gewalttätigen Vorstellungen. Ich habe genug von den ewig gestrigen und all denen die glauben, man kann nichts gegen die Missstände unternehmen, weil es immer so war und weil es halt so ist. Ich habe genug von den heilsversprechenden Blendern und deren bis zur Selbstverleugnung geblendeten Heilsempfängern, die sinnberaubt ihren Führern folgen.
Es ist ein Urbedürfnis des menschlichen Wesens um Aufmerksamkeit zu werben. Schon das Kleinkind schreit um Aufmerksamkeit, wenn ihm etwas fehlt. Über die Jahrhunderte der zivilisierten Menschheit galt die Mitte oder das Mittelmass als wenig erstrebenswert. Man verglich neidisch den farbigen Glanz höfischer Aktivitäten oder den Prunk der Kirchen mit der schalen Kontrastlosigkeit des Mittelmasses. Viele Menschen, damals wie heute, bemühen sich um breite Aufmerksamkeit. Selbstverständlich schafften es nur einige wenige in die Geschichtsbücher und entzogen sich damit dem Vergessen werden, wenn auch meist mit wenig rühmlichen Taten.
Im frühen Mittelalter blieben Schriften, ein weiteres Mittel um Aufmerksamkeit zu erwecken, verständlicherweise den Gelehrten, den Kirchen und den Feudalherren vorbehalten, weil sie von Hand mit dem Federkiel auf Pergament oder anderen teurem Papier angefertigt bzw. kopiert werden mussten und schon der Kosten wegen dem wenig gebildeten, einfachen Volk nicht ohne weiteres zugänglich waren. Dieser Umstand änderte sich zum ersten Mal, als Gutenberg den Buchdruck erfand. Auf einmal war es mit technischen Mitteln möglich Texte schnell zu vervielfältigen. Die Entwicklungen Gutenbergs leiteten eine dritte Medienrevolution (nach Ausbildung der Sprache und Erfindung komplexer Schriftsysteme) ein. Durch das Verfahren mit beweglichen Lettern konnte schneller, billiger und in größeren Mengen gedruckt werden als zuvor. Druckerzeugnisse gehörten bald zum Alltag und lösten die Handschriften ab. Der Humanismus und die Reformation wurden durch den Buchdruck nicht unwesentlich beeinflusst, er ermöglichte deren weitläufigere Verbreitung. Das System trug zur Alphabetisierung bei, indem es Texte und somit auch Bildung wesentlich mehr Menschen als zuvor zugänglich machte. Für verschiedene Medienwissenschaftler leitet deswegen die Erfindung aus der Gutenberg-Druckerei einen neuen Zeitabschnitt der Medienentwicklung ein. [1] Nun war es möglich, dass auch der einfache aber gebildete Mensch, sich ins Gedächtnis der Menschheit schreiben und so dem Vergessen werden entziehen konnte. Allein die Fähigkeiten des Lesens und Schreibens, des Denkens, Wille und die Phantasie waren die Voraussetzungen um ein Buch zu schreiben und mit etwas Glück aus dem grossen Dunst der Mittelmässigen hinauszutreten.
Etwas später entstanden die ersten Massenmedien, wie Zeitungen, Plakate und Flugblätter. Die Entdeckung des elektrischen Stroms, Radios und Fernsehens waren die nächsten grossen Entwicklungen um Meinungen, Wissen und Unterhaltung genauso wie Propaganda noch schneller noch näher zum Bürger zu bringen. Neue Möglichkeiten entstanden um sich der Nachwelt unvergessen zu machen. Filmstars, Sänger und Komiker fanden den Weg erst ins Kino, dann nach Hause in die Stube von Dir und mir, bis zu den Superstars von heute, Superstars aus Castingshows.
Mit der Entwicklung des Fernsehens zum Massenmedium kamen, nebst der Begeisterung für das Machbare, - man glaubte daran, dass es irgendwann keine Bücher mehr braucht um Wissen zu vermitteln, sondern Videos die Erklärungen liefern sollen, - auch erste Zweifel auf, ob der Fernseher als Tagesmutter für nicht betreute Kinder wohl tauglich sei (Das mit dem Wissen vermitteln hätte vielleicht noch klappen können, wenn nicht Werbung und Vermarktung noch lauter um Aufmerksamkeit geschrien hätten). Der New Yorker Dr. Neil Postman war einer der wichtigsten Kritiker des unkontrollierten Umgangs mit den neuen Medien. 1985 verfasste er ein Buch mit dem Titel «Wir amüsieren uns zu Tode.» Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie. Hier zwei Zitate daraus:
„Unser Fernsehapparat sichert uns eine ständige Verbindung zur Welt, er tut dies allerdings mit einem durch nichts zu erschütternden Lächeln auf dem Gesicht. Problematisch am Fernsehen ist nicht, dass es uns unterhaltsame Themen präsentiert, problematisch ist, dass es jedes Thema als Unterhaltung präsentiert.“
– Wir amüsieren uns zu Tode (1985)
„Fernsehen wurde nicht für Idioten erschaffen – es erzeugt sie.“
– Wir amüsieren uns zu Tode (1985)
und ein weiteres von 1992
«Unsere Abwehrmechanismen gegen die Informationsschwemme sind zusammengebrochen; unser Immunsystem gegen Informationen funktioniert nicht mehr. Wir leiden unter einer Art von kulturellem Aids.»
How to Watch TV News,
Neil Postman mit Steve Powers
– Wir informieren uns zu Tode, 1992
Als jüngste und letzte grosse technische Revolution dürfen wir wohl das Internet und die mobile Verfügbarkeit desselben anerkennen. Während journalistisch betriebene Unternehmen wie Zeitung, Radio & Fernsehen (heute gerne auch als Lügenpresse beschimpft) Inhalte noch kontrollieren und bei Unwahrheiten zu Gegendarstellungen verpflichtet sind, gelangen über das neue Medium, und den darin enthaltenen sozialen Netzwerken, Gedanken, Gefühle und Neuigkeiten genauso wie wilde Spekulationen, Falschmeldungen und Verschwörungstheorien einzelner ungefiltert ins Netz. Gratisangebote und Werbung verstärken noch das laute Getöse der um Aufmerksamkeit ringenden, und der daraus entkeimenden polarisierenden Meinungen und Hassparolen über Minderheiten sowie Andersgläubige in Kommentaren. Dabei spielt es keine Rolle aus welcher Ecke die Kommentare, Tweets und Posts kommen, wichtig ist einfach; sie müssen noch dreister formuliert sein, noch drastischer, noch drohender als die bereits zuvor veröffentlichten. Der Wahrheitsgehalt aus dieser Art des Informationsaustausches ohne Quellenangaben ist kaum mehr erkennbar und scheinbar auch nicht mehr wichtig. Ich glaube die Wahl des amerikanischen Präsidenten Donald Trump ist die einzig konsequente und richtige Wahl, basierend auf den Feststellungen zum kulturellen Aids von Dr. Neil Postman gepaart mit diesen jüngsten Beobachtungen. Ja man könnte sogar sagen wer am lautesten und dreistesten lügt, dem gehört die Welt. Es geht nämlich nicht um Wahrheit, Wohlergehen oder Friedenssicherung, sondern um politische sowie materielle Macht und Quote – oder man könnte auch sagen; allein um breite Aufmerksamkeit.
Ich stelle mir hier die Frage was ist es denn, was aus uns ängstliche Menschen, Wutbürger und Hassprediger macht? Warum wollen wir nicht einfach gut, nett und zuvorkommend sein? - Dies ist kein Phänomen der heutigen Zeit. Menschen haben in der Geschichte immer schon ausgegrenzt, waren dem Fremden gegenüber kritisch, ablehnend und vernichtend. Die Kindermorde in Betlehem, die Heilige Inquisition, Hexenjagd und Hexenverbrennungen, Judenausgrenzung, -Verfolgung und -Vernichtung um nur drei extreme Kapitel aus der Geschichte anzusprechen. Menschen waren immer schon sensationshungrig um die beste Geschichte zu erzählen um Aufmerksamkeit zu bekommen, waren immer schon gierig und egoistisch um im Wettstreit um Macht und Anerkennung mehr Reichtum anzuhäufen als der Nachbar es konnte. Das Problem der heutigen Zeit ist, dass uns die neuen Medien den Zugang zum allgemeinen Gehör vereinfacht haben. Die Kommunikation über den Bildschirm scheint uns auch hemmungsloser gemacht zu haben. Damit man überhaupt Hemmungen haben kann braucht es ein Gewissen. Ist es möglich, dass das persönliche Gewissen, in gefühlter Anonymität, einer kollektiven Gewissenlosigkeit gewichen ist?
Es gehört zunehmend mehr Mut dazu mittelmässig zu sein und den Problemen der einen Seite genauso gut zuzuhören wie den Wünsche der anderen Seite. Zusammenhängend denken erfordert Aufmerksamkeit, erfordert Konzentration, erfordert Ruhe. Hingegen laute Parolen dreschen sowohl am linken als auch am rechten Rand der Gesellschaft kann man auch im volltrunkenen Zustand noch. Sie bedienen die niedrigsten Instinkte unseres Seins. Warum sollen die besten Instinkte wie Mitgefühl, Anteilnahme und Liebe plötzlich nichts mehr Wert sein? Das Unwort des Jahres 2015 in Deutschland war Gutmensch. Als „Gutmenschen“ wurden insbesondere diejenigen beschimpft, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen. Mit dem Vorwurf „Gutmensch“, „Gutbürger“ oder „Gutmenschentum“ werden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus diffamiert. [2]
Die Würde des Menschen ist unantastbar. - Das gilt auch für die Würde der Wutbürger, auch deren Mütter lieben ihre Kinder. Ich wünschte mit mehr Begeisterung für das Leben, mehr Menschen die den polarisierenden Kräften von links und rechts mit Präsenz Einhalt gebieten, ich wünsche mir mehr Zivilcourage. Ein Blick nach Deutschland veranschaulicht das Anliegen. Die 2’000 Montagsdemonstranten der Pegida, die rufen wir sind das Volk, sind nicht das Volk. Ihnen stehen 80'000'000 Bürger gegenüber. Das gilt auch für die Schweiz. Die, welche sich auf das Volk berufen, sind nicht das Volk. Sie schreien nur am lautesten und erhalten dafür mehr Medienpräsenz, mehr Aufmerksamkeit.
Für mich, habe ich das Jahr 2016 als «das Jahr der Lüge» eingereiht. Ich hoffe, aus tiefstem Herzen, dass dieser Trend schnell durchbrochen wird und sich die Menschheit wieder auf die Suche nach Wahrhaftigkeit macht. Es ist wichtig Probleme zu benennen. Aber es ist noch viel wichtiger die benannten Probleme zu lösen. Und es ist verwerflich Probleme zu machen, die gar nicht existiert haben nur um Angst und Unsicherheit zu verbreiten, sogenannte Scheindebatten. Wir sollten fordern und zulassen was möglich ist um faule Kompromisse zu vermeiden. Es kann nicht schlecht sein ein Gewissen zu haben. Es kann nicht schlecht sein für andere da zu sein. Es kann nicht schlecht sein Liebe zu leben. Es ist gut sich selbst nicht übermässig wichtig zu nehmen. Es ist gut den Menschen nach seinem Tun und nicht alleine nach seinen Worten einzuschätzen. Es ist gut die Aufmerksamkeit dem Sein und nicht dem Schein zu schenken. Vielleicht liegt gerade da drin eine erste Möglichkeit zur Wahrnehmung einer neuen Bescheidenheit und Besinnung, für die ich mir zur kommenden Zeit wünsche, womit sich diese Gedanken zur festlichen Zeit beschäftigten:
Mehr Aufmerksamkeit der Bescheidenheit
Ein gutes neues Jahr
HW
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Über den Autor
HW
Hallo, ich bin Hermann.
Ich bin der Vater von drei Kindern, die mir alles bedeuten. Ich kam am 13.08.1961 in Winterthur zur Welt. Das war der Tag, an dem die Berliner Mauer gebaut wurde. Sie hielt bis zum 9.11.1989. Ich stehe noch. Allerdings hat mich diese Mauer immer und immer wieder beschäftigt. Sie steht für eine gewaltsame Trennung von Menschen. Die freiwilligen Trennungen sind aber auch nicht besser. Ich weiss es. Ich bin schon dreimal geschieden. Diese Webseite entsteht für meine Kinder. Danken möchte ich all den lieben Menschen, die mich mein Leben lang begleitet, inspiriert und geliebt haben.
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