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Gedanken in der festlichen Zeit

Jahreswechsel 2018/2019

Sprache ist mächtig. Ohne sie ist Leere im Geiste, ohne sie findet keine Erkenntnis statt. Bewusstes Wahrnehmen, wird nicht wenig durch unsere Sprache bestimmt. Sie ist machtvoll – und kann schön sein! Sie ist mehr als ein Vehikel für Inhalte und Bedeutung. Sie ist eine graziöse Tänzerin in den unendlich vielen Farbtönen der Assoziation. Sie vermag es, ein Feuer-werk aus Bildern in unserem Kopf zu zünden, sie ist rhythmisch und malt Klänge tief ins innerste Ohr.

Kauf du Sau!

Was aber macht die Werbung? Sie verändert eine schöne in eine manipulative Sprache, die meist schon zehn Meter gegen den Wind stinkt. Hier wird Sprache zum Werkzeug für plumpe Anmache verdreht und vergewaltigt, mit der immergleichen Botschaft an den Kunden: „Kauf, du Sau!“ Selbst die Politik macht davor keinen Halt mehr. Die Verrohung der Sprache hält unkontrolliert Einzug in alle Lebensbereiche und rechtfertigt sich allein durch die Werbung um die Wählergunst oder um die Förderung der Kauflust für ein Produkt. Das geht heute so: Zuerst ein Tabu brechen und damit Empörung provozieren um möglichst viele potentielle Wähler oder Konsumenten zu mobilisieren. Jede Widerrede und Debatte verstärkt dabei den Bekanntheitsgrad und schafft schlussendlich eine übergrosse Bedeutung und Wichtigkeit des Anliegens. Dem das Bedürfnis geweckt sich dieser Art von Debatte oder dieser Art von Reizen auszusetzen, der muss kriegen in dem er seiner Meinung Gehör verschafft oder das Produkt kriegen indem er es kauft. Erst dann ist er befriedet. Wir stehen also in einem fortwährenden Kampf Bedürfnisse zu befriedigen, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass wir sie haben. Oder Meinungen zu Themen zu äussern die vorher unwichtig schienen. Aber dazu später mehr.

Freiheit

Frei ist, wer verantwortungsbewusst denkt und handelt.
Mit der Vereinfachung der Sprache gehen meist auch Typisierung von Gemeinschaften und Ausgrenzung von Randgruppen einher, sowohl in der politischen als auch in der gesellschaftlichen Aussprache. Die ungehinderte Ausbreitung von Propaganda und der allein für ihre Zwecke verzerrten Sprache, ist nicht selten dunkler Vorbote von Gewalt und niederträchtiger Vorreiter möglicher Ausschreitungen. Dabei wird immer wieder auf das Recht der freien Meinungsäusserung verwiesen, und dass man das doch noch sagen dürfe oder dass man Missstände doch benennen müsse. Es stellt sich die Frage, was ein nennenswerter Missstand ist und ob Meinungs und Redefreiheit tatsächlich mit «Ich darf alles sagen» gleichzusetzen sind. Was mir aber sofort einfällt, wenn ich das Wort Freiheit höre, ist Verantwortung. Ich erinnere mich an einen Vortrag, worin der Dozent sich sinngemäss so äusserte: «Als man den Amerikanern die Freiheitstatue für New York schenkte, hätte man ihnen auch gleich die Statue für Verantwortung nach San Francisco mitgeben sollen.»


Die freie Meinungsäusserung ist eine Errungenschaft unserer Zivilisation. Unsere Vorfahren, Väter und Mütter haben einen langen Kampf gefochten um dieses Recht zu erstreiten. Nur ein verantwortlicher Umgang mit dieser Errungenschaft sichert ihren Fortbestand. Ein verantwortungsloser Umgang hingegen führt im schlimmsten Fall dazu, dass mit Einschränkungen der Meinungs und Redefreiheit oder gar mit deren Abschaffung zu rechnen ist.

Was soll man denn überhaupt noch sagen dürfen wenn einem trotz Redefreiheit der Mund verboten wird?
Vernunft und Gewissen wären sicher gute Berater in der Abwägung ob etwas gesagt werden muss oder nicht. Weisheiten aber auch theologische Betrachtungen können uns helfen eine Einschätzung zu machen:
«Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.»
«Worte, die den Mund verlassen haben, kann man nicht zurück holen.»
«Lasse Deine Worte durch drei Siebe laufen: Das erste Sieb ist die Frage: ist es wahr? Das zweite Sieb ist die Frage: ist es notwendig? Das dritte Sieb ist die Frage: ist es freundlich?»
Wer diese Grundsätze befolgt wenn es um Rassismus, Religion und schwache Minderheiten aber auch um Zwischenmenschliches geht, hat schon einen grossen Schritt für eine friedliche Koexistenz verschiedener Kulturen, oder ganz einfach für ein schönes Zusammenleben getan. Aber bei aller Liebe zu diesen schönen Gedanken, wenn wir nur diesen Grundsätzen folgten, so wären die Benennung eines Missstandes oder eine Provokation um etwas aufzurütteln kaum denkbar und es würde vieles unausgesprochen bleiben, was hätte benannt werden müssen. Beispiel: Kindsmissbrauch, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung sind Tatbestände die kein Tabu sein dürfen. Sie müssen angesprochen werden um die Opfer zu befreien und die Täter zu stellen. Die betroffenen Menschen sollen aber geschützt werden. Ihre Schicksale sollten vor der Öffentlichkeit, vor Sensationsgier und Quotenjagd der Medien und der Verbreitung im Namen angeblichem «öffentlichen Interesses» und zur «Meinungsbildung» ferngehalten werden. Allein der Tatbestand, frei vom Bezug zu den Betroffenen soll diskutiert werden und es soll sich eine öffentliche Meinung dazu bilden, wie sie mit Tätern und Opfern richtig umgehen wollen.
Unbedachte Äusserungen und Hörensagen zu verbreiten kann selbst zu einem Tatbestand werden, nämlich dem der Verleumdung. Beispiel: Die «#MeToo» Bewegung wollte eine Debatte zu sexuellen Übergriffen auslösen und hat defacto eine Welle von Vorverurteilungen ausgelöst, die das eigentliche Anliegen in den Hintergrund drängte. Einen Missstand anklagen ist richtig. Ist es auch richtig gleich ein Urteil zu vollstrecken, ohne Anhörung der Beklagten und ohne auf die dafür vorgesehenen Institutionen zu vertrauen? «Man wird das ja noch sagen dürfen.» Immer mehr stelle ich fest, dass es nicht nur auf die laut vorgetragene Äusserung ankommt, sondern mindestens im gleichen Masse auf die Fähigkeit des Zuhörens. Ist man fähig zuzuhören, ohne dass man gleich alles auf sich und die eigene subjektive Wahrnehmung bezieht? Sind wir überhaupt noch fähig zuzuhören? Wollen wir wirklich verstehen oder wollen wir uns einfach empören, Partei beziehen und unseren Senf dazugeben, unvergoren, kurz und unüberlegt? Dies fühlt sich an, wie wenn wir ins Stadion gingen, und mit dem Eintritt unser individuelles Sein gegen die kollektive Identität eintauschten. Wir nehmen Partei für eine der beiden Mannschaften. Da ist jeder Pfiff des Schiedsrichters ein Grund für einen Aufschrei, vor allem wenn er gegen die eigene Mannschaft gepfiffen wird, und es spielt keine Rolle ob der Pfiff zurecht oder zu Unrecht erfolgte. Können wir das überhaupt noch, uns selber zuhören und einen überlegten Gedanken formen?
«Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.» und aus Worten werden Taten.
Machen wir den Kreis noch einmal etwas grösser. Betrachten wir die politischen und gesellschaftlichen Debattierräume. Das Debattieren ist Basis einer lebendigen Demokratie. Gewählte Volksvertreter und gewählte Landesvertreter haben ihre eigenen Debattierräume. Der öffentliche Debattierraum wird von den Medien moderiert. Dazu gehören heute nebst den klassischen Medien auch die neuen Medien wie z.B. soziale Netzwerke. Wenn wir die Tagesschau ansehen, die Ereignisse aus nah und fern zusammenträgt, oder wenn wir eine Zeitung lesen, dann frage ich mich schon nach dem Nutzen der Informationen, die uns vermittelt werden. Eigentlich sollten Informationen zu einer Reaktion unseres Verhaltens führen. Wenn in irgend einer Region der Welt ein Bus in die Tiefe stürzt und es kommen dabei 19 Menschen ums Leben, so kann es kaum eine sinnvolle Reaktion darauf geben. Mein Verhalten ändert sich deswegen nicht. Wieso muss ich denn davon Kenntnis haben? Beim Wetter verhält es sich anders. Wenn morgen mit hoher Wahrscheinlichkeit Regen angesagt wird, so werde ich wahrscheinlich mein Verhalten anpassen und morgen einen Regenschirm mitnehmen. Sind diese 19 Toten aus dem Busunglück nun tatsächlich von öffentlichem Interesse? «Das zweite Sieb ist die Frage: ist es notwendig?»
Da die öffentlich rechtlichen Medien den öffentlichen Debattierraum gestalten und moderieren, sind sie ein Teil unseres gesellschaftlichen und politischen Alltags. Kreativität und Verantwortungsbewusstsein wären wünschenswert. Die Pressefreiheit, ist schlussendlich ein Teil der freien Meinungsäusserung und der Redefreiheit. Leider fühlen sich die heutigen Medienhäuser dieser Verantwortung, nämlich dem Moderieren einer öffentlichen Debatte nicht mehr so stark verpflichtet, wie der Aufgabe um Aufmerksamkeit zu heischen und Werbeeinnahmen zu generieren. Die Menschen, welche sich gerne informieren möchten und an Visionen und Hoffnungen für die Zukunft mitarbeiten und mitdenken wollen bleiben unterversorgt. Sie werden primär als Konsumenten und nicht mehr als Mitstreiter wahrgenommen. Der «Teamgeist» zwischen den Medien und den Lesern, Zuhörern oder Zusehern ist verflacht. Dem Unmut in der Bevölkerung wird in den sozialen Medien Luft verschafft. Lügenpresse heisst es dann und wann. Es geht hier nicht um ein paar Verrückte. Längst ist der von den Medien moderierte öffentliche Debattierraum auf die Vernunft der Wirtschaft geschrumpft. Alle beanspruchen die Mitte, wollen die Vernünftigsten sein und fördern damit indirekt Elitendenken und Kartelle. Auch hier spielt die Sprache eine gewichtige Rolle. Es werden politische und ökonomische Appelle an die Bevölkerung gerichtet, die einiges zum Nachdenken geben. Meist sind sie hoffnungslos widersprüchlich und dem Alltagsverstand kaum zugänglich. Dass man sparen soll wenn man knapp ist, scheint noch nachvollziehbar. Dass man aber, um die Binnennachfrage zu stimulieren, gleichzeitig zum Konsumieren angehalten wird um so das Wachstum zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen ist dann schon etwas verwirrend.
Es gibt links und rechts der Mitte viel brach liegendes Gedankengut, dass nicht mehr in den politischen Diskurs Einzug findet. Dieses wird zum Nährboden für populistische Bewegungen. Hier wird die Sprache auf einfache Parolen und einfache Lösungsvorschläge reduziert. Darüber nachdenken kann man ja später noch. Dabei werden wild Tabus gebrochen um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ausgrenzung wird betrieben um das Volk in Stimmung zu halten. Ängste werden geschürt um gläubige Anhänger um sich zu scharen. Worte werden missbraucht um Unschuldige anzuprangern. Die Talkmaster setzen dann auch ganz darauf, radikale Repräsentanten gegenüber den Vernünftigen, Opfer gegenüber den Tätern, Arbeitslose gegenüber den Spekulanten aufzustellen und verbunden mit kritischen Fragen Quote zu schaffen. Dabei stellt man fest dass sich die Medienschaffenden gerne auch als moralische Instanz entlarven und entsprechend in Szene setzen. Es wird der spannenden Diskussion zuliebe der Dissens befeuert und der Kompromiss verteufelt.
Man kann dieses Thema der freien Meinungsäusserung, der Redefreiheit oder auch der Pressefreiheit nicht mit einem klaren, «das ist gemeint damit» beschreiben. Man muss schon seinen Verstand gebrauchen um dahin zu reifen, was das nun wirklich bedeutet. Je mehr Freiheit wir haben, je höher ist auch der Anspruch an die Verantwortung. Und der Kompromiss, nämlich sein Anliegen einzubringen und den Anliegen anderer zuzuhören, abzuwägen und die Bereitschaft für Zugeständnisse, ist das, was Demokratie, was die höchst mögliche Akzeptanz für Beschlüsse ausmacht. Verhärtete Standpunkt und starre Grenzen bedeuten Krieg. Gemeinsame Lösungen also Kompromisse bedeuten Frieden. Nichts weniger als das, steht auf dem Spiel wenn wir über Meinungs, Rede und Pressefreiheit nachdenken. Man kann folgende Formel anwenden.
 
Wer sein individuelles Recht auf Meinungs- und Redefreiheit einfordern muss, hat meistens den geschützten Rahmen derselben bereits übertreten.
 
Und Missstände soll man nur benennen, wenn man auch bereit ist etwas dagegen zu tun.


Danke euch allen, die ihr mein Leben lebenswert macht. Ich wünsche euch ein gesegnetes 2019.