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Freie Meinungsäusserung

Man wird das ja noch sagen dürfen.

Die freie Meinungsäusserung ist eine Errungenschaft unserer Zivilisation. Unsere Vorfahren, Väter und Mütter haben einen langen Kampf gefochten, um dieses Recht zu erstreiten. Nur ein verantwortlicher Umgang mit dieser Errungenschaft sichert ihren Fortbestand. Ein verantwortungsloser Umgang hingegen führt im schlimmsten Fall dazu, dass mit Einschränkungen der Meinungs- und Redefreiheit oder gar mit deren Abschaffung zu rechnen ist.

Mit der Vereinfachung der Sprache gehen meist auch Typisierung von Gemeinschaften und Ausgrenzung von Randgruppen einher, sowohl in der politischen als auch in der gesellschaftlichen Aussprache. Die ungehinderte Ausbreitung von Propaganda und der allein für ihre Zwecke verzerrten Sprache, ist nicht selten dunkler Vorbote von Gewalt und niederträchtiger Vorreiter möglicher Ausschreitungen und sogar Kriege. Dabei wird immer wieder auf das Recht der freien Meinungsäusserung verwiesen, und dass man das doch noch sagen dürfe oder dass man Missstände doch benennen müsse. Es stellt sich die Frage, was ein nennenswerter Missstand ist und ob Meinungs- und Redefreiheit tatsächlich mit «Ich darf alles sagen» gleichzusetzen sind. Was mir aber sofort einfällt, wenn ich das Wort Freiheit höre, ist Verantwortung. Ich erinnere mich an einen Vortrag, worin der Dozent sich sinngemäss so äusserte: «Als man den Amerikanern die Freiheitstatue für New York schenkte, hätte man ihnen auch gleich die Statue für Verantwortung nach San Francisco mitgeben sollen.»

Was soll man denn überhaupt noch sagen dürfen, wenn einem auch in der Redefreiheit der Mund verboten wird? - Vernunft und Gewissen wären sicher gute Berater in der Abwägung, ob etwas gesagt werden muss oder nicht. Prüfe, ob Deine Worte spalten oder einen wollen, ob sie gut gemeint sind, oder ob Du nur Geschwätz weitergibst um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Wer dies beachtet, wenn es um Rassismus, Religion und schwachen Minderheiten geht, hat schon einen grossen Schritt für ein friedliches Zusammenleben getan. Aber bei aller Liebe zu sanften Tönen, wenn wir nur diesem Ideal folgten, so wären die Benennung eines Missstandes oder eine Provokation, um etwas aufzurütteln kaum denkbar und es würde vieles unausgesprochen bleiben, was hätte benannt werden müssen. Beispiel: Kindsmissbrauch, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung sind Tatbestände, die kein Tabu sein dürfen. Sie müssen angesprochen werden, um die Opfer von Angst und Traumata zu befreien und die Täter zu stellen. Die betroffenen Menschen sollen aber geschützt werden. Ihre Schicksale sollten vor der Öffentlichkeit, vor Sensationsgier und Quotenjagd der Medien und der Verbreitung im Namen des öffentlichen Interesses und zur Meinungsbildung ferngehalten werden. Allein der Tatbestand, frei vom persönlichen Bezug zu den Betroffenen soll diskutiert werden und es soll sich eine öffentliche Meinung dazu bilden, wie sie mit Tätern und Opfern richtig umgehen wollen. Unbedachte Äusserungen und Hörensagen zu verbreiten kann selbst zu einem Tatbestand werden, nämlich dem der Verleumdung. Beispiel: Die #MeToo Bewegung wollte eine Debatte zu sexuellen Übergriffen auslösen und hat defacto eine Welle von Vorverurteilungen ausgelöst, die das eigentliche Anliegen in den Hintergrund drängte. Einen Missstand anklagen ist richtig. Ist es auch richtig gleich ein Urteil zu vollstrecken, ohne Anhörung der Beklagten und ohne auf die dafür vorgesehenen Institutionen zu vertrauen? «Man wird das ja noch sagen dürfen.»

Immer mehr stelle ich fest, dass es nicht auf die laut vorgetragene Äusserung ankommt, sondern auf die Fähigkeit des stillen Zuhörens. Ist man fähig zuzuhören, ohne dass man gleich alles auf sich und die eigene subjektive Wahrnehmung bezieht? Sind wir überhaupt noch fähig zuzuhören? Wollen wir wirklich verstehen oder wollen wir uns einfach empören, Partei beziehen und unseren Senf dazugeben, unvergoren, kurz und unüberlegt? Dies fühlt sich an, wie wenn wir ins Stadion gehen und mit dem Eintritt unser individuelles Sein, einem Mantel gleich, an der Garderobe abgeben und gegen eine kollektive Identität, ähnlich einem Schal der Lieblingsmannschaft, eintauschen. Wir nehmen Partei für eine der beiden Mannschaften. Da ist jeder Pfiff des Schiedsrichters ob zurecht oder zu Unrecht, ein Grund für einen Aufschrei, Grund für Empörung, lautes Getöse und Geschrei, wenn er gegen die eigene Mannschaft gepfiffen wird. Können wir das überhaupt noch, uns selber zuhören und einen überlegten Gedanken formen?

«Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.» und aus Worten werden Taten.

Betrachten wir die politischen und gesellschaftlichen Debattierräume. Das Debattieren ist die Basis einer lebendigen Demokratie. Gewählte Volksvertreter und gewählte Landesvertreter haben ihre eigene Debattierräume in den Parlamenten. Der öffentliche Debattierraum wird von den Medien moderiert. Dazu gehören heute nebst den klassischen Medien auch die neuen Medien wie die sozialen Netzwerke.

Wenn wir die Tagesschau ansehen, die Ereignisse aus nah und fern zusammenträgt, oder wenn wir eine Zeitung lesen, dann frage ich mich schon nach dem Nutzen der Informationen, die uns vermittelt werden. Im natürlichen Sinn sollten Informationen zu einer Reaktion unseres Verhaltens führen. Wenn in irgendeiner Region der Welt ein Bus in die Tiefe stürzt und es kommen dabei Menschen ums Leben, so kann es kaum eine sinnvolle Reaktion darauf geben. Mein Verhalten ändert sich deswegen nicht. Wieso muss ich denn davon Kenntnis haben? Beim Wetter verhält es sich anders. Wenn morgen mit hoher Wahrscheinlichkeit Regen angesagt wird, so werde ich wahrscheinlich mein Verhalten anpassen und morgen einen Regenschirm mitnehmen. Sind diese Toten aus dem Busunglück nun tatsächlich von öffentlichem Interesse? Brauchen wir diese Information?

Da die öffentlich- rechtlichen Medien den öffentlichen Debattierraum gestalten und moderieren, sind sie ein Teil unseres gesellschaftlichen und politischen Lebens. Kreativität und Verantwortungsbewusstsein wären wünschenswert. Die Pressefreiheit, ist ein Teil der freien Meinungsäusserung und Redefreiheit. Leider fühlen sich die heutigen Medienhäuser dieser Verantwortung, nämlich dem Moderieren einer öffentlichen Debatte nicht mehr so stark verpflichtet, wie dem Auftrag um Aufmerksamkeit zu heischen und Werbeeinnahmen zu generieren. Die Menschen, welche sich gerne informieren möchten und an Visionen und Hoffnungen für die Zukunft mitarbeiten und mitdenken wollen bleiben unterversorgt. Sie werden primär als Konsumenten und nicht mehr als Mitstreiter wahrgenommen. Das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Medien und den Lesern, Zuhörern oder Zusehern ist verflacht. Dem Unmut in der Bevölkerung wird in den sozialen Medien Luft verschafft. Lügenpresse heisst es dann und wann. Es geht hier nicht um ein paar Verrückte. Längst ist der von den Medien moderierte öffentliche Debattierraum auf die Vernunft der Ökonomie geschrumpft. Alle beanspruchen die Mitte, wollen die Vernünftigsten sein und fördern damit indirekt Elitendenken und Kartelle. Auch hier spielt die Sprache eine gewichtige Rolle. Es werden politische und ökonomische Appelle an die Bevölkerung gerichtet, die einiges zum Nachdenken geben. Oft sind sie hoffnungslos widersprüchlich und dem Alltagsverstand kaum zugänglich. Dass man sparen soll, wenn man knapp ist, scheint noch nachvollziehbar. Dass man aber, um die Binnennachfrage zu stimulieren, gleichzeitig zum Konsumieren angehalten wird umso das Wachstum zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen ist dann schon etwas verwirrend.

Es gibt links und rechts der Mitte viel braches Gedankengut, dass nicht mehr in den politischen Diskurs Einzug findet. Dieses wird zum Nährboden für populistische Bewegungen. Hier wird die Sprache auf einfache Parolen und einfache Lösungsvorschläge reduziert. Darüber nachdenken kann man ja später noch. Dabei werden wild Tabus gebrochen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ausgrenzung wird betrieben, um das Volk in Stimmung zu halten. Ängste werden geschürt, um gläubige Anhänger um sich zu scharen. Worte werden missbraucht, um Unschuldige anzuprangern. Die Talkmaster setzen ganz darauf, dass radikale Repräsentanten gegenüber den Vernünftigen, Opfer gegenüber Tätern, Arbeitslose gegen Spekulanten aufzustellen und verbunden mit kritischen teils reisserischen Fragen Quote zu schaffen. Dabei stellt man fest, dass sich die Medienschaffenden gerne auch als selbstinszenierte moralische Instanz ins Licht rücken, leider ohne den Ansprüchen gerecht zu werden, die ethisch gutes Verhalten forderte. Es wird der spanenden Diskussion zuliebe der Dissens befeuert und der Kompromiss verteufelt.

Man kann dieses Thema der freien Meinungsäusserung, der Redefreiheit oder auch der Pressefreiheit nicht mit einem klaren, «das ist damit gemeint» beschreiben. Man muss schon seinen Verstand gebrauchen, um dahin zu reifen, was das nun wirklich bedeutet. Je mehr Freiheit wir haben, je höher ist auch der Anspruch an die Verantwortung im Umgang mit ihr. Und der Kompromiss, nämlich den Anliegen anderer zuzuhören und überlegt sein Anliegen einzubringen, dann abzuwägen, und eine Bereitschaft für Zugeständnisse entgegenzubringen, macht die höchstmögliche Akzeptanz für Beschlüsse aus. Auf gefestigten Standpunkten zu beharren und diese bis zum letzten Mann zu verteidigen, bedeutet in letzter Konsequenz Krieg. Gemeinsame Lösungen also Kompromisse bedeuten Frieden. Nichts weniger als das, steht auf dem Spiel, wenn wir über Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit nachdenken. Man kann folgende Formel anwenden. Je weniger ich mit meinen Aussagen das Recht auf Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit einfordern muss, je besser war mein Ansinnen, je besser war meine Sprache.

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Über den Autor

HW

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Hallo, ich bin Hermann.

Ich bin der Vater von drei Kindern, die mir alles bedeuten. Ich kam am 13.08.1961 in Winterthur zur Welt. Das war der Tag, an dem die Berliner Mauer gebaut wurde. Sie hielt bis zum 9.11.1989. Ich stehe noch. Allerdings hat mich diese Mauer immer und immer wieder beschäftigt. Sie steht für eine gewaltsame Trennung von Menschen. Die freiwilligen Trennungen sind aber auch nicht besser. Ich weiss es. Ich bin schon dreimal geschieden. Diese Webseite entsteht für meine Kinder. Danken möchte ich all den lieben Menschen, die mich mein Leben lang begleitet, inspiriert und geliebt haben. 

Ich bin auch der Betreiber dieser Webseite und für die Inhalte verantwortlich.

 

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